Kathrin Filip ist Anne Frank

Vielleicht 50 Menschen versammelt Kathrin Filip um sich im Foyer des Großen Hauses. „Kommen Sie ruhig näher“, spricht sie das Auditorium an, „dann haben wir es kuschelig“. Und schon stimmen alle „Happy Birthday“ an. Denn Kathrin Filip ist Anne Frank und feiert ihren 13. Geburtstag. Wir schreiben also den 12.Juni 1942. Gestern Abend war es mal wieder Zeit für die Mono-Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“ im U2 unter Klavier-Begleitung von Fabian Liesenfeld und Regie von Jan Holtappels.

Bis es tatsächlich in den kleinen U2 im Keller geht, liest Anne Frank ein paar Stellen aus ihren Aufzeichnungen, sie erzählt und sie singt – oben steht übrigens auch ein Klavier, das zum Einsatz kommt. Ganz aufgeregt ist Anne, denn man wird ja nicht ständig 13, und was sich im Laufe des Lebens abschleift, hat eben in der Jugend noch einen besonderen Stellenwert. Sie läuft nach vorne und hinten, steigt auf einen Stuhl, erzählt und singt wieder. Ein eigenes Tagebuch bekommt sie geschenkt, ein Tagebuch, das sie in den nächsten zwei Jahren gut gebrauchen kann. Alles hätte so normal und üblich und schön weitergehen können. Doch die jüdische Familie Frank muss nach Amsterdam emigrieren, in ein Hinterhaus, das zum Bürogebäude des Vaters gehört. Und diese Angst und die Flucht, die schreckgeweiteten Augen, das hektische Verstecken lässt sich oben zwischen den Spinden im Foyer des Theaters mit direktem Blickkontakt in die Augen der Zuschauer, die selber nicht genau wissen, wohin sie gehen sollen, natürlich viel besser leben als auf einer kleinen, statischen Bühne.

Und dann aber doch. Unten, eng, eine nackte Glühlampe. Hier also soll sie sich vor ihren Häschern verstecken. Anne ist 13 – das darf man ja nicht vergessen. Ein Mädchen, das unter solchen Bedingungen heranreift zur jungen Frau, das nicht nur mit fehlender Freiheit, keinem Sonnenlicht und der Angst leben muss, entdeckt zu werden, sondern das eben auch die Berührungen von Peter, der ebenfalls eingesperrt ist, erlebt. Die von Liebe erzählt, von Ehe und Kindern, von Lust und Körperlichkeit. Kathrin Filip legt soviel Emotionen in ihren Gesang, wunderbar begleitet von Fabian Liesenfeld. Und dann, als für einen Moment das Licht gedimmt wird, sitzt Anne Frank, fast hätte ich gesagt „die richtige Anne Frank“, nun, aber zumindest, ihr Antlitz auf einer Maske, im vorderen Bühnenbereich (Lucia Hasenburg). Sie schreibt in ihr Tagebuch. Von der Hoffnung auf bessere Zeiten, die sie nicht aufgibt, was Kathrin Filip immer wieder stimmlich unterstreicht. Tatsächlich scheint es, als ob sich die Zuschauer kollektiv in das Gefühlsleben dieses eigentlich so normalen und doch besonderen Mädchens hineinversetzen kann. Als es schließlich dunkel wird, schon nach einem musikalischen Epilog und lange, nachdem Anne Frank erklärt hat, dass dies das Ende ihres Tagebuches sei, traut sich niemand zu klatschen.

Einen Besuch kann ich nur empfehlen.

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