Links ein Waschsalon, rechts ein Schnellrestaurant, in der Mitte ein öffentliches Pissoir – so viel Öffentlichkeit ist selten im Theater und damit alles angerichtet für die „Angels in America“, eine Oper von Peter Eötvös nach dem gleichnamigen Schauspiel von Tony Kushner. Gestern war Premiere im Großen Haus.
Wir befinden uns im New York. Hupen, Rufe, undefinierbarer Verkehrslärm. Anders als Kushners siebenstündiges Monumentaldrama, das Eötvös auf gut zwei Stunden gekürzt hat, ist die Oper nicht auf die 80er Jahre zur Reagan-Zeit festgelegt. Die Immunschwäche-Krankheit AIDS sorgt dafür, dass zahlreiche Menschen, insbesondere homosexuelle sterben. Damit einher geht gesellschaftliche Stigmatisierung. Regisseur Carlos Wagner holt die Protagonisten in die Öffentlichkeit. „12 Millionen Menschen“, sagt Dramaturg Ronny Scholz bei der vorherigen Einführung ins Werk „können wir ja schlecht auf die Bühne holen.“ Deshalb der Trick mit der geballten Öffentlichkeit. Aus dem Verkehrslärm entwickelt sich langsam Musik, ja der Lärm ist Teil der Musik. Wie immer großartig dirigiert Golo Berg das Orchester im Graben, in dem auch ein Vokaltrio nicht nur singt, sondern für diverse andere Geräusche und Kommentare zuständig ist.
Es geht um drei Männer, die HIV-positiv sind. Wie gehen sie damit um? Da ist Prior Walter, dessen Freund nicht mit der fortschreitenden Erkrankung umgehen kann und sich von ihm trennt. Da ist der schwule Mormone und Anwalt Joe Pitt, dessen Frau Harper valiumsüchtig ist und da ist der rechtsextreme Anwalt Roy Cohn, der seine Homosexualität noch auf dem Sterbebett verleugnet. Drei Fälle also, die doch miteinander verwoben sind. Ventil, ob nun beabsichtigt oder nicht, ist die Halluzination: Harper etwa weiß nicht, dass ihr Mann schwul ist, aber sie ahnt es, und dann erscheint Prior Walter ihr in der Trommel der Waschmaschine, schminkt sich, zieht ein Kleid an. Prior Walter, der nachts um vier seine Mutter anruft, von einem Münzfernsprecher im Central Park. „Mom, I`am homosexual – please say something.“ Doch das einzige, das seine Mutter ihm nach einer Pause aufgibt, ist, nach Hause zu gehen. Dieses Gespräch habe nie stattgefunden. Bei Roy Cohn ist es Ethel Rosenberg, die ihm erscheint, weil sein Gewissen ihm wohl einen Streich spielt, denn er hat sie auf den elektrischen Stuhl gebracht. Immerhin hat Cohn, mehr tot als lebendig, noch die Kraft zu sagen: „I want a white nurse.“ Eine groteske Szene, wie Ethel da an deinem Totenbett sitzt mit Spaten in der Hand und wunderschön jiddisch singt. Überhaupt: Kristi Anna Isene in der Rolle nicht nur von Ethel Rosenberg sondern auch von Harper Pitt und dem antarktischen Engel fand ich persönlich am eindrucksvollsten. Und Engel gibt es reichlich, den ozeanischen, den asiatischen, den europäischen. Was alle irgendwie eint, ist die Unvollkommenheit, was sie sympathisch und menschlich macht. Das fängt damit an, dass sie – erkennbar an Schnüren oder auf Sesseln – geschwebt kommen. Und es endet damit, dass sie sich verhaspeln und selbst nicht so ernst nehmen. Obwohl das Thema ernsthaft ist, ist das Ganze eben keine Trauerveranstaltung. Trotzdem sind einige in der Pause gegangen. Nun ist die Oper auch nicht vergleichbar mit vielleicht Verdi, Mozart oder Weber. Man muss sich darauf einlassen. Diejenigen, die geblieben sind – und das waren die allermeisten – erlebten in der zweiten Hälfte, wie Prior als Prophet arbeiten soll und schon mal in den Himmel aufsteigt, um seinen Arbeitsplatz zu begutachten. Dort begegnen ihm dann allerlei Gestalten aus „Alice im Wunderland“. Doch Prior lehnt ab – er zieht das Leben vor. Auch Christian Midel als Prior Walter verdient die Bestnote. Ein schöner Abend.