Der kleine Spatz vom Bosporus

Wenn Christiane Hagedorn türkisch singt, geht einem das unter die Haut, so emotional oder auch innerlich zerrissen, wunderbar begleitet von der Band Anahtar-Bahnhof. Hagedorn ist „der kleine Spatz vom Bosporus – gestern Abend fand im Pumpenhaus das letzte von drei Konzerten unter der Regie von Tugsal Mogul statt.

Der Veranstaltungsraum liegt völlig im Dunkeln. Schemenhaft zeichnet sich eine Person im Bühnenrücken ab, tastet sich vorwärts und entzündet schließlich ein Licht. Christiane Hagedorn gibt sich überrascht: so viele Leute – das wirkt etwas bemüht, doch mit zunehmender Zeit gewinnt „der Spatz vom Bosporus“ an Sicherheit und Kraft. Es scheint, dass Hagedorn erstmal singen muss. Sezen Aksu, von der die Musik stammt, sagt: „Jeder sollte singen, singen ist gut für die Gesundheit“. Vielleicht ist singen auch gut für die Selbstsicherheit. Nach den ersten Nummern, mit denen Christiane Hagedorn ihr Publikum direkt um den Finger wickelt, läuft es auch besser. Als Gudrun aus Ost-Berlin erzählt sie mit tollem Akzent, wie sie unweit des Tränenpalastes Mehmet kennen- und lieben gelernt hat. Mehmet, der aus Westberlin kam und jedes mal West- in Ostmark tauschen musste, um bei ihr zu sein. Und schon erklingen Liebeslieder. Da kann man richtig versinken und vor dem geistigen Auge wähnt man sich am Checkpoint Charlie. Das hat heute schon etwas surreales, doch jenseits aller Gefühle gab es eben auch rein praktische Probleme. Leider hat Mehmet eine Kleinigkeit vergessen, dass er nämlich im Westen bereits eine Frau hat und zwei Söhne. Doch Gudrun vergibt ihm und wird selber schwanger. Hoffentlich endlich ein Mädchen, freut sich Mehmet. Tatsächlich wird eine gemeinsame Tochter geboren, an der sich Mehmet allerdings nur bis ins Teenie-Alter erfreut, weil er zurückgeht ans Schwarze Meer. Zu verlockend war das Angebot des Fernsehproduzenten, bei dem Mehmet arbeitete. Doch Gudrun war tief verletzt, dass ihr Mehmet für 10.000 Mark verschwindet. Und diesen Schmerz spürt man in der Musik, die Geschichten, die Christiane Hagedorn da erzählt, nehmen das Auditorium mit, sogar bis Istanbul, wo die Tochter auf der Suche nach ihrem Vater einen Berliner Taxifahrer im hellblauen Chevrolet trifft. Und dann, wenn man so vorbereitet ist, im Nachtzug mit einer türkischen Großfamilie, dann berührt einen die Musik umso mehr. Mal ist man in Berlin, mal in Besiktas, meistens aber in der Bahn, jedenfalls unterwegs. Liebe, Schmerz, Gerüche, Erinnerungen. Mehmets Tochter hat Musik studiert und eine eigene Band mit dem Namen Anahtar-Bahnhof und die darf sich zum Schluss noch mal in Soli zeigen, wie gut sie ihre Instrumente beherrscht – vier ganz in  schwarz gekleidete Herren mit roten Hosenträgern und Socken sorgen für die richtige Atmosphäre.

 

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