mit dem Rad von Münster nach Berlin

Die Strecke Münster- Berlin ist Teil des Radfernweges R1, der über 5.100 Kilometer von London bis Helsinki führt. Glaubt man den gängigen Radreiseführern, so beträgt diese Distanz 730 Kilometer. Aber ich bin trotzdem 800 geradelt. Manchmal habe ich schlicht Hinweisschilder übersehen, manchmal gab es aber auch temporäre Besonderheiten wie das splashfestival kurz vor Wittenberg, für das ein großräumiges Areal gesperrt wurde.

Natürlich kenne ich die erste Strecke über Warendorf, Harsewinkel, Gütersloh. Erst in Schloß Holte Stukenbrock kann man zelten, dafür liegt der Platz direkt am Radweg. Andernorts muss man schon gewaltige Umwege in Kauf nehmen und manchmal führt das zu außergewöhnlichen Plätzen wie dem in Gernrode. Da musste ich ein Badezimmer dazu mieten. Andererseits habe ich auf keinem Platz ein direkteres, intensiveres Naturerleben erfahren können. Das mag auch zum Teil daran liegen, dass sich unterhalb des Platzes ein Teich befindet. Was da frühmorgens alles Radau macht, eine Kakophonie von Tönen, ich fand das toll, diese natürliche Vielstimmigkeit in einem ansonsten völlig ruhigen Umfeld. Andere mögen Plätze bevorzugen wie den in Goslar, der direkt an einer vielbefahrenen Bundesstraße liegt. Da hört man keine Tiere. Vielleicht 10 Kilometer vor Goslar habe ich bei einer Bergauffahrt Louise aus la Rochelle überholt. In Tallage kamen wir ins Gespräch und sind die letzten Kilometer bis Goslar gemeinsam geradelt. Louise ist direkt am Atlantik gestartet und hatte auch Berlin zum Ziel, hat meistens wild gezeltet und war schon seit Wochen unterwegs. Eine Gelegenheit, meine Französischkenntnisse aufzufrischen. Hier im Harz gibt es schon einige Herausforderungen an die Kondition, auch ich musste manches Mal schieben, weil die Steigung zu stark war. Wenn man dann endlich oben ist, muss man bei der Abfahrt oft noch abbremsen, weil der Boden aus Schotter besteht. Aber das ist nicht überall so, manchmal fährt man auch auf Waldboden oder tatsächlich auf geteerten Wegen, im Osten der Republik häufig auf Kopfsteinpflaster. Ansonsten bin ich ja eher „Flussfahrer“, was bei dieser Tour nur sehr begrenzt möglich ist, man fährt etwas an der Ems, an der Weser, an der Saale. Ich persönlich fand das Stück an der Bode am schönsten, üppige, satte Natur, ruhig an einem mäandernden Flüsschen. Zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt überquert man zudem die Ecker, die die damalige innerdeutsche Grenze markiert. Wenn man mag und Zeit hat, gibt es Gelegenheit genug, Historie zu erleben. Ich habe mich diesbezüglich begnügt mit einem Blick auf und von der Glienicker Brücke, die die Havel überspannt und die Städte Potsdam und Berlin verbindet. Zur Zeit des kalten Krieges war die Brücke gesperrt und es kam mehrfach zum Agentenaustausch, da hier nicht der übliche Grenzverkehr störte. Nach sieben Tagen war ich am Ziel meiner Reise, am Brandenburger Tor angelangt.

Hier nun endete mein kurzer Tourbericht und man kann gut Gewissens die Lektüre beenden. Allerdings war mein guter Freund Benedikt doch etwas enttäuscht ob des jähren, abrupten Endes. Und so will ich für ihn und andere lesewillige Menschen, seien es nun Radler oder nicht, noch ein bisschen Bonusmaterial zur Verfügung stellen: Man mag sich vielleicht vorstellen, dass es nicht durchgehend trocken blieb. Mich ereilte am vorletzten Tag der Tour schon morgens, als das Zelt noch stand am Bergwitzsee, ein permanentes Tropfentrommeln. Ich habe natürlich gewartet und gewartet und gewartet. Zwischendurch war ich mal Zähneputzen. Es half alles nichts. Ich baute das Zelt im Regen ab. Nun kann man die Natur auch bei Regen genießen: nasse Kiefern haben etwa einen intensiven Geruch, und es ist natürlich gut und wichtig für die Böden, die das Wasser aufsaugen. Doch ein wirkliches Vergnügen ist das radeln dann nicht. Für mich war insgeheim klar, dass ich mir für die letzte Nacht ein Hotel nehmen würde, auch wenn ich mir selbst vormachte, nach einem Campingplatz zu suchen, wenn die Zeit gekommen war. Tatsächlich schaffte ich es bei durchgehend Regen zunächst bis zur Lutherstadt Wittenberg, wobei ich mir nicht die Mühe machte, nach den 95 Thesen an der Schlosskirche zu suchen. Einzig der Hunger und meine feuchten und durchgefrorenen Glieder führten mich in das nächstgelegene Café. Wieder unterwegs traf ich noch den 60-jährigen Uwe aus Chemnitz, zu DDR-Zeiten -Profi-Fußballer, der mir unbedingt ein Foto seiner Freundin zeigen wollte, wahrscheinlich, weil die eher aussah wie seine Tochter. In Potsdam war es dann soweit, dass ich mir im Mercure-Hotel für einen astronomischen Preis ein Zimmer nahm. Das Zelt hängte ich zum trocknen über die Duschwand, wobei alles mögliche Spinnengetier herausfiel. Am folgenden Morgen versuchte ich, den Preis zu rechtfertigen: Brötchen, Eier, Müsli, Obst, Kaffee, Kaffee, Kaffee – es war natürlich hoffnungslos. Wer jetzt noch nicht genug hat, möge mich anschreiben, besser noch: möge selber losradeln.

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