von Mäusen, die sich in Wunden verstecken

Allerheiligen treibt die Menschen auf die Friedhöfe. Zur richtigen Einstimmung hat das Theater Münster – wie in jedem Jahr – zur literarisch-musikalischen Schauerstunde in den Theatertreff geladen. Da hat das münsteraner Volk sich nicht lange bitten lassen. Egal ob blutgefleckte Operationsschwester, die noch üben muss, Gruselclowns, Hexen oder Vampire – das wollten sie sich nicht entgehen lassen.

Der Raum ist etwas luftiger, etwas weniger vollgestellt als in den Jahren zuvor, natürlich gibt es Fledermäuse und Totenköpfe. Aber das ganz Große, die Klappergestelle, die überbordenden Spinnweben, das komplette Gruselequipment aus dem Theaterfundus fehlt. Aus dem rückwärtigen Areal kommen unter gruseliger Klaviermusik von Fabian Liesenfeld die Protagonisten des Abends hereingeschlurft. Den Anfang macht ein großer schwarzer Vogel, gefolgt von Pascal Herington im erdfarbenen Gewand, efeuberankt und mit grässlich-klaffender Wunde, in der man bequem eine Maus verstecken könnte. Das Ende ist Carolin Wirth vorbehalten, als Teufelin, die mit ihrem schweren, rotglühenden Schwanz wedelt. Dazwischen noch mehr absonderlich- gruselige Gestalten, die sich im Raum verteilen und von der Nebeldroschke in Berlin lesen, die plötzlich auftaucht und wieder verschwindet, die von einem Schimmel gezogen wird, der mit dem Nebel verschmilzt und einen substanzlosen Kutscher hat. Aber nicht nur Heinrich Seidel wird gelesen, die Texte mit kleinen Leseleuchten erhellt. Goethe, Guy de Maupassant, Annette von Droste Hülshoff. „Oh schaurig ists übers Moor zu gehen, wenn es wimmelt am Heiderauche“, Carolin Wirth trägt „der Knabe im Moor“ mit dem nötigen Pathos vor und ich denke wieder an meine Schulzeit, in der ich das Gedicht auswendig lernen musste und vor der Klasse einen Textaussetzer hatte. Bei „Was raschelt da drüben am Hage?“ ging es einfach nicht weiter. Richtig schön, gruselig-schön mit kaltem Schweiß und perlendem Jucken auf dem Rücken sind die musikalischen Einlagen, Franz Schuberths Vertonung des Erlkönigs, von Judith Gennrich dargeboten oder auch „der Doppelgänger“ von Pascal Herington gesungen. Nach 75 Minuten, noch vor Mitternacht, ist der Spuk vorbei und das Volk beginnt, sich rhythmisch zu bewegen.

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