Dass Sergej Prokofjew nachgesagt wird, er habe mit seiner Musik das stalinistische Russland gestützt, als er 1934 zurück ging in die Sowjetunion, nur weil seine Musik so eingängig war, ist schlimm genug. Es gibt aber sogar Dirigenten, die Prokofjew gar nicht mehr spielen, weil sie ihm auch für Putin die Schuld geben. Gut, dass Generalmusikdirektor Golo Berg da anderer Meinung ist. Der lässt mit Igor Strawinski sogar einen weiteren Russen spielen gestern Abend beim 4. Sinfoniekonzert im Großen Haus. Eingehüllt ist Fazil Says „Frühlingsmorgen in den Tagen der Quarantäne“ mit einem gut aufgelegten Solisten Friedemann Eichhorn an der Violine.
Mit Strawinskis Feuervogel geht es los, und das ist so lebhaft, dass alles live passiert. Da spielt das Orchester kaum wahrnehmbar ganz leise bis der Feuervogel erwacht, ein Auge öffnet, mit der Posaune zum Aufschlag gemahnt. Da werden die Schwingen ausgebreitet mit vielen Violinen, und schon beginnt die Jagt auf das Federvieh. Die Harfe lässt die Nacht perlen und schon erwacht der Morgen. Das ist einfach schön, selbst wenn der Zauberer Kaschschei Böses im Schilde führt. Strawinski wurde dadurch über Nacht zu einem der angesagtesten Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts. Leider dauert die Suite nur gut 20 Minuten.
Doch dann ist Friedemann Eichhorn als Solist mit der Violine gefragt beim Konzert für Violine und Orchester des türkischen Komponisten Fazil Say. Quarantäne ist des meisten von uns ein Begriff. Wie man das aber musikalisch umsetzen kann, zeigt der Solist in der Interaktion mit dem Orchester. Es wippen die Füße, nichts steht still, als Friedemann Eichhorn die Saiten seines Instruments mehr zupft als streicht. Einsamkeit, Isolation, aber auch Hoffnung und der Wille, da herauszukommen treiben ihn an, während das Orchester das Leben spielt, das vor der Tür bleiben muss. Zwischendurch wird es dann jazzig. Da hält es das Auditorium kaum auf den Sitzen. Und dieser zweite Satz wird später auch als Zugabe gespielt. Golo Berg hat extra ein türkisches Schlaginstrument besorgen lassen, um den orientalischen Klang zu erzeugen, den es braucht.
Ganz zum Schluss, doch dafür die komplette zweite Konzerthälfte, sind dann die Montagues und Capulets an der Reihe, also Prokofjew hat Romeo und Julia vertont. Er dient Shakespeare, will ihn aber nicht übertrumpfen. Tolle Musik, die sich einbrennt in die Gehörmuscheln, schon zigfach von der Werbeindustrie adaptiert, was irgendwie schade ist, die Musik beinahe entehrt. Die Musik gilt heute als eine der berühmtesten Kompositionen Prokofjews und als „Klassiker“ des Balletts im 20. Jahrhundert. Doch sie zieht auch ganz ohne Bühnenhandlung in ihren Bann, denn wilde Kampfszenen werden hier in der puren Sprache der Töne ebenso eindrucksvoll umgesetzt wie die zunehmend verzweifelte Liebessehnsucht der Protagonisten.
Ein tolles, mitreißendes, fesselndes Konzert mit einem grandiosen Sinfonieorchester.