keine Zeit für Leidenschaft

Es ist schon etwas besonderes, Silvester ins Theater zu gehen und nach der Vorstellung bei in diesem Jahr frühlingshaften Temperaturen nach Hause zu schlendern. Guten Tag Klimawandel, guten Tag Neujahr. In dem Stück am Jahresende ging es im Großen Haus aber allenfalls um Körpertemperatur, also um Liebe, Lust und Leidenschaft. „Aspects of Love“ hieß es da gestern, ein Musical von Andrew Lloyd Webber unter Regie von Carsten Lepper und unter musikalischer Leitung von Henning Ehlert.

Vor Beginn wendet Intendantin Dr. Katharina Kost-Tolmein sich noch kurz ans Publikum, dass dieses doch bitte nachsichtig sein möge, wenn Barbara Bräckelmann in der Rolle der Elizabeth nicht bei 100 % ihrer Stimme sei, was dann tatsächlich später allenfalls ausgewiesene Spezialisten merken sollten. Technisch anspruchsvoll mit vielen fleißigen Händen fliegt das Stück durch Frankreich von Paris nach Montpellier und zurück, nach Venedig und Afrika. Ein toller Trick, wie die Eisenbahn mit Dreieckslicht und Tuten auf die Bühne rollt, sich dreht und ein gemütliches Abteil zeigt. Und das Stück fliegt durch die Zeit, die zwischendurch auf eine durchsichtige Stoffmembran projiziert wird: 1946 und 64. Monumentale Bauwerke – l`arc de triomphe, die links und rechts verschwinden, notfalls auch mal von oben kommen. Wie gesagt: das ist gut gemacht, aber ich finde, es geht – zumindest im ersten Teil – etwas auf Kosten der Leidenschaft, die ja wesentlicher Inhalt von Aspects of Love ist. Leidenschaft muss sich entwickeln und braucht Raum. Die armen Sänger*innen mussten quasi aus dem Kaltstart heraus leidenschaftlich sein, was dann nicht ganz glaubwürdig war. Nach der Pause, so mein Eindruck, wurde es besser. Besonders berührend war das Duett von George Dillingham (Gregor Dalal) und seiner Tochter Jenny Dillingham (Deike Darrelmann), klasse begleitet vom Sinfonieorchester, das die Stimmen nicht erdrückte. Das gab auch langanhaltenden Zwischenapplaus. An einer Stelle singt Dalal, dass er ja als Mann über 70 nichts mehr zu geben habe, was dann doch für einiges Gelächter im Auditorium sorgt. Die meisten Herren im Publikum dürften sich angesprochen gefühlt haben. In der Rolle des Alex Dillingham, Neffe von George, konnte Mark Roy Luykx zwar überzeugen. Doch kam ihm die schwierigste Rolle zu, weil er seine Leidenschaft aufteilen musste, noch dazu auf Mutter und Tochter, letztere 15-jährig, was schon ein Geschmäckle hat. Dazu kam dann noch Elizabeth. Da kann man schon mal die Übersicht verlieren. Gesanglich waren auch Katja Berg als Rose (Mutter von Jenny) und eben Barbara Bräckelmann als Elizabeth (der ich die 95 % nicht angemerkt habe) passend. Aber ich war nicht begeistert, es fehlte das Schmieröl.

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