vom Güldenhof in rabenschwarzen Zeiten

Jetzt ist es also soweit, dass Autor Christoph Tiemann selbst auf die Bühne tritt, als Chauffeur Johann vor über 80 Jahren, als Chauffeur und Sturmführer. Einen Moment lang wird es ganz ruhig im Pumpenhaus, als Johann in nazibrauner Uniform, mit Springerstiefeln und Hakenkreuz-Binde den Güldenhof betritt. Durchaus gewagt, denn man ist ja gewohnt, beim SOAP-Ding fast durchgehend zu lachen. Doch das Skript ist stimmig und das Regieteam um Alban Renz von Cactus junges Theater hat wie immer ganze Arbeit geleistet. Wer jedoch in der Entwicklung Parallelen zur Gegenwart erkennt, liegt vielleicht nicht ganz falsch. Gestern Abend war Premiere der 4. Folge.

Natürlich gibt es wieder eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Geschichte. Hilfreich sind dabei die drei jungen Damen aus der Kellerbar, die wie üblich mit entrücktem Blick abgehackte, kurze Sätze  herauspressen. Doch auch die vielen jungen anderen Schauspieler umreißen das menschliche Gefüge um die drei Perlenbacher-Brüder. Und das ist ja inzwischen, nach drei Folgen, durchaus eine ansehnliche Aufgabe. Zahnarzt Dr. Oswald Perlenbacher ertränkt derweil seine Angst im Alkohol. Patienten hat er nicht mehr. Seine letzte Patientin Claire Biscotti ist ja nicht nur seine Freundin geworden, sondern zudem auch Staatsanwältin. In dieser Funktion ist sie ausgerechnet mit der Aufklärung des Sontner-Falles beschäftigt. Das schlechte Gewissen treibt den Zahnarzt, sich bei jeder Äußerung von Claire ertappt zu wähnen. Immer mehr fühlt er sich in die Ecke gedrängt, soweit sogar, dass er sich bei seinem Bruder Robert, dem „Chef-Bruder“, unter dem Tisch versteckt, als Claire dort klingelt. Fürs Erste kann Robert der Staatsanwältin zwar weismachen, dass Oswald sehr unter den Todesfällen leide und ihrer Hilfe bedürfe, also, dass sie ihn am besten in Ruhe lasse. Doch schon schmiedet Robert einen Auftragsmord.

Währenddessen sind diverse Personen an der Historie des Güldenhofes interessiert, Anne Perlenbacher, Roberts Frau, eine geborene Wiesgard, Pater Fratelli, Pia Bellini vom Dönerladen und der angebliche Sonderpädagoge Tommy Rokhues, der zwischenzeitlich sein Gedächtnis verloren hat. Um nun auch für die Zuschauer Licht ins Dunkel zu bringen, erfolgt eine Reise in die Vergangenheit, genaugenommen in das Jahr 1929, ständig wechselnde Regierungen in der Weimarer Republik, am Vorabend der Weltwirtschaftskrise. Der Güldenhof befand sich damals noch im Besitz der Rebecca Wiesgard, einer Großtante von Anne Perlenbacher. Kurze Videosequenzen aus der Zeit flimmern über die Leinwand, das Wohnzimmer von Robert und Anne verändert sich, von der Decke wird ein Kronleuchter heruntergelassen, drei Mädchen tummeln sich um ihre Mutter. Da meldet der zeitlose Diener „Tsun Ge“ Besuch, und zwar Johann, dessen Geschäfte nicht mehr laufen und der sich Hilfe bei den Wiesgards  erhofft, nicht zu Unrecht, er wird als Chauffeur eingestellt. In schnieker Chauffeursuniform erzählt er „Tsun Ge“  von seiner Sympathie für die Nationalsozialisten.

Ein kurzer Cut und das Auditorium befindet sich wieder in der Gegenwart, wo der jüngste Perlenbacher-Spross Chris seine Mutter aufsuchen will, die in Panama lebt. Das ist einfach großartig wie Chris im Flugzeug sitzt und die arme Sitznachbarin auf dem Interkontinentalflug mit einem Gemisch aus Englisch und Deutsch vollquatscht, dabei will die mit Nackenkissen und Augenklappe erkennbar nur schlafen. In Panama-Stadt wird es dann eine Gemisch aus Spanisch und Deutsch, andele. Von seiner Mutter erfährt Chris ein Geheimnis, das sicher Stoff für die letzte Folge bietet. Daheim in Deutschland wird indes Pia Bellini vergiftet und stirbt ein qualvollen Bühnentod mit tropfendem Schaum und Bewegungsunfähigkeit.

Noch ein cut und wir befinden uns im dunkelsten Zeitalter der deutschen Geschichte. Johann hat seine Chauffeursuniform in Nazibraun getauscht und zwingt die Halbjüdin Rebecca Wiesgard zur Überschreibung des Güldenhofes. Die Töchter sollen über Holland nach England fliehen, doch so weit kommen sie nicht.

Es macht einfach Spaß, diese jungen Menschen zu erleben, die so hungrig sind, mit so viel Liebe und Energie auf die Bühne bringen, was neben Christoph Tiemann auch Judith Suermann und Urs von Wulfen entworfen haben. Die Zuschauer zollen dem Ensemble großen Respekt und Beifall. Wie sehr  die Anspannung dann gewichen ist, konnte man im Foyer erleben, in dem dann noch lange gefeiert wurde.

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