vom doppelten Franz

Wenn Matthias Kirchschnereits Flügel ruft und eine einzelne Querflöte, ein Fagott oder gleich das ganze Orchester antwortet, wenn sich dann alles in harmonischem Wohlklang auflöst, ist Zeit für Franz Schuberts Wanderfantasie in sinfonischer Bearbeitung von Franz Liszt.

Gestern war mal wieder Zeit für ein Sinfoniekonzert – inzwischen das 6. – diesmal unter Leitung von Stefan Veselka. Wie immer gibt es eine Stunde vorher eine Einführung in die Werke. Die zwei Komponisten lebten zur selben Zeit, doch lernten sich nie persönlich kennen, wie Dramaturg Ronny Scholz erläutert. „Beide waren auch sehr gegensätzlich. Hier der Mann für die Stille, die Einsamkeit, die Angst – Franz Schubert – da die erste, schillernde, bunte Pop-Ikone – Franz Liszt.“ Jedenfalls werde die Zeitung morgen vom doppelten Franz schreiben.

Das Orchester beginnt mit „Les Préludes“ von Liszt, dessen Hauptthema von den Nationalsozialisten als Erkennungsbericht für den Wehrmachtsbericht missbraucht wurde. Leicht kann man sich vorstellen, dass es Jahre der Rehabilitierung brauchte, bevor es wieder Einzug in die Konzertsäle fand. Dabei macht das Orchester das so gut. Die Streicher lassen die Bögen zu Anfang rhythmisch auf die Saiten fallen. Es geht ganz schnell – dann wirkt die Droge Musik. Man kann süchtig werden, süchtig nach der Musik, süchtig nach dem Orchester. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich Klarinette, Hörner, Posaunen zuordne, wie die Querflöte und den Bass. Doch alles ist eine Einheit und natürlich sollte man es auch so wirken lassen. Dann wird der Flügel vom rechten Bühnenrand in Position geschoben und befestigt, auf dass er nicht ins Auditorium rollt. Das Publikum geht schon mal in Vorleistung und begrüßt Matthias Kirschnereit mit einem freundlichen Applaus. Der Musikprofessor aus Rostock verdient sich allerdings schnell seine Lorbeeren. Er spielt so schnell und virtuos und immer wieder gemeinsam mit dem Orchester oder abwechselnd, so dass ein Dialog entsteht. „Schuberts Wanderfantasie wurde nicht nur eines der Lieblingswerke des Pianisten Franz Liszt, sie beeindruckte ihn auch als Komponisten nachhaltig. Die viersätzige, durchgehende Form der Fantasie, die durch ein Hauptthema verbunden wird, inspirierte ihn zu einer Orchestrierung des Werkes,“ heißt es dazu im Konzertführer. Selbstverständlich braucht es dazu einen Pianisten wie Matthias Kirschnereit, der im Anschluss als Zugabe „Schubert pur“, nämlich die ungarische Melodie spielte. Und da er vorher mit sich haderte, ob er nun Liszt oder Schubert zum Besten geben sollte, spielte er in der Folge noch Claude Debussy, der von Liszt – wie viele andere auch – beeinflusst wurde.

Nach der Pause spielte das Orchester Hamlet, die Sinfonische Dichtung. Es heißt, Liszt habe sie nach einem Shakespeare-Theaterbesuch geschrieben. Inhaltlich lässt sich ein Vergleich kaum anstellen, doch emotional wirkt die Musik durchaus passend. Und dann endlich wird die wohl beste unvollendete Sinfonie angestimmt. „Neben Bruckners IX. vielleicht“, wie Ronny Scholz hinzufügt. Franz Schuberts Sinfonie h-Moll, so schön und emotional, so kraftvoll und energisch vom Orchester dargeboten. Vom dritten Satz der Sinfonie existieren nur ganz wenige, rudimentäre Bruchstücke. Warum die Sinfonie tatsächlich unvollendet blieb, ist heute nicht mehr zu sagen. Ein Streitgespräch, das allenfalls unter Musikwissenschaftlern geführt wird. Ich habe den Abend sehr sehr genossen.

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